Zeitungsartikel „Forensik“ – Umfrageresultat folgt in den nächsten Tagen

TV-Detektive und Ermittler entzaubert

Detektive und Ermittler in Fernsehserien und Krimiliteratur prägen das Bild der Polizeiarbeit bei der Aufklärung von Verbrechen. Dr. Henriette Haas, Professorin für Kriminologie und Forensik zeigte in ihrem Vortrag im vollen Kursaal in Bad Ragaz ein etwas anderes Bild in der Realität.

von Hans Hidber

Bad Ragaz. – Ursula Wyss von der Kulturellen Vereinigung Bad Ragaz stellte die prominente Referentin kurz vor: Henriette Haas ist Psychologin und Professorin an der Uni Zürich. Sie unterrichtet zudem an der Staatsanwaltsakademie der Uni Luzern und betreibt eine Praxis für forensische Psychologie. Zuvor war sie Therapeutin in der Strafanstalt Pöschwiese, Professorin für Kriminologie und Forensik in Lausanne und leitete eine Analyse-Abteilung beim Fedpol.
«Wenn Sie von mir die Präsentation von Mord, Blut und Leichen erwarten, muss ich Sie leider enttäuschen», stellte die ebenso kompetent wie witzig erzählende Referentin gleich zu Beginn ihrer Ausführungen klar. Anders als etwa in der (besinnlichen) sonntagabendlichen Mord- und Totschlagserie «Tatort» und ähnlichen Krimi-Sendungen zeigte Henriette Haas ein etwas anderes Bild einer seriösen und professionellen Ermittlungsarbeit zur Aufklärung von Verbrechen.

Wenig Bezug zur Realität
So spannend und unterhaltsam Krimi-Serien im TV oder Kriminalromane auch sein mögen; mit der Realität haben sie oft nur ansatzmässig oder wenig zu tun. Klassische und zeitgenössische Leinwand- und Romanhelden der Gilde der Detektive, Ermittler, Kommissare und Inspektoren mit ihren oft ganz speziellen Methoden wären in der realen Polizeiarbeit kaum zu brauchen, so die Referentin. Sherlock Holmes zum Beispiel meine, mit akribischen Analysen von Kleinkram fast unfehlbar aufs Ganze schliessen zu können. «Ein Einzelner löst nie einen Kriminalfall allein – nie!», betonte Haas mit Nachdruck. Die Serie «Monk» schaut sich die Referentin noch gerne an, weil sie «unterhaltsam ist und Humor hat». Aber der neurotische, ausserdienstliche Ermittler Adrian Monk mit seinem Ordnungstick, der ihn zum Beispiel eine Blumenvase am Tatort in die geometrische Mitte des Tisches stellen lässt – und damit und auch mit anderen Handlungen Fingerabdrücke verwischt – sei völlig irrational und widerspreche fundamental kriminalistischem Denken. Die Referentin fühlte noch weiteren Krimi-Galionsfiguren auf ihre praktische Eignung im wirklichen kriminalistischen Leben auf den Zahn.

Das Publikum miteinbezogen
Die Referentin lud das Publikum ein, an einem Mini-Test- mitzumachen. Es ging darum, zwei Bilder mit nicht direkt kriminalistischem Hintergrund zu analysieren. Beim einen galt es, aufgrund einer ziemlich merkwürdigen Zeichnung eines Elefanten das Profil der Person zu bestimmen, die das Bild schuf. Ein Elefant ohne Kopf und mit langen Stäbchenbeinen. Das zweite Bild zeigte eine fast zerborstene Fensterscheibe im Parterre einer Villa mit einem faustgrossen Loch und spinnennetzartigen Rissen auf der ganzen Glasfläche, ebenso beim Fensterteil der angrenzenden Türe. Was war da passiert? Die Kommentare und die Hypothese dazu konnte man nach einer Minute Bedenkzeit auf dem ausgeteilten Blatt ausfüllen und abgeben, die Referentin wird die Ergebnisse auswerten und mit jenen ihrer Studierenden vergleichen. Die Auflösungen: Den Elefanten hatte einer gezeichnet, der blind geboren war und viel später durch eine Operation sehend wurde und noch nie einen Elefanten gesehen hatte. Im zweiten Falle war es nicht ein Einbrecher, sondern ein Hagelgewitter. Aber darauf musste man aufgrund verschiedener Indizien auch erst kommen.

Grundsätze der Forensik
Mit den beiden einfachen Beispielen zeigte Henriette Haas das Grundmuster der forensischen Ermittlungsarbeit auch für komplexere Fälle auf, nämlich die fünf Regeln des systematischen Beobachtens: Schemata und Modelle zum Vergleichen; formelle Aspekte der Zeichen erfassen; Zerlegung des Inhalts in strukturelle Komponenten; Anomalien und Widersprüche erfassen und Fehlendes und Überflüssiges zu erkennen. Die Referentin ging noch auf weitere Details auch anhand von Fallbeispielen ein. Wer an diesem interessanten Referat dabei war, wird künftig Fernsehkrimis aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten.