Zeitungsbericht Vögel und ihre Stimmen

Die gefiederten Komponisten nachgeahmt

Unter dem Titel «Vogelstimmen und Musik» stellte Dr. Christian Marti von der Vogelwarte Sempach, zugleich Hobbymusiker, in Wort, Bild und Ton verschiedene begnadete Sänger aus der Vogelwelt vor und imitierte sie zum Teil mit eigenen Pfeiftönen oder auf einem Musikinstrument.
von Hans Hidber
Bad Ragaz. – Es gibt kaum jemanden, der sich nicht vom morgendlichen Vogelgesang in eine angenehme Stimmung versetzt fühlt. Die Motiviation für die gefiederten Komponisten liegt aber nicht darin, den Menschen eine Freude zu bereiten oder aus lauter Lebenslust ihre Lieder in den erwachenden Morgen oder in die Abenddämmerung hinauszuschmettern. Es geht da um handfestere Dinge: Ihr Revier gesanglich zu markieren und zu verteidigen, für die singenden Männchen aber auch, Weibchen anzulocken. Daneben, so der Referent, festige vermutlich der Gesang bei einigen Arten den Paarzusammenhalt und synchronisiere das Verhalten des Paares. Weil das konventionelle Notensystem Vogelstimmen mit ihren oft stufenlosen Modulationen nur unzulänglich widergeben kann, verwenden die Vogelforscher das sogenannte Sonogramm (mit Ultraschall erzeugtes Tondbild), das aber gut abzulesen ist.

Das Morgenkonzert
Auch bei den Vögeln gibt es Früh- und Spätaufsteher. Wer an einem frühen Morgen auf Vogelstimmen aus ist, wird ein gestaffeltes Einsetzen der verschiedenen Vogelregister im Morgenkonzert erleben. Nach der sogenannten «Vogeluhr» beginnt anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang der Hausrotschwanz an zu singen, im Viertelstundentakt folgen die Singdrossel, die Amsel, das Rotkehlchen, der Zaunkönig, der Buchfink und der Zilpzalp. Die Kohlmeise und die Mönchsgrasmücke wählen den Sonnenaufgang für ihren Einsatz, eine Viertelstunde später setzt der Distelfink ein, und Langschläfer Grünfink findet es eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang noch früh genug, um auch noch in den Chor einzustimmen. Vielfältig wie in einem Sinfonieorchester sind die Ton- und Melodienstrukturen: Eintönige, zwei- oder dreisilbige Motive, scharf oder weniger ausgeprägt schmetternd, mit vielen Trillern fabulierend oder langgezogene, flötenartige Töne. Dann gibt es auch noch geräuschhaftes Schwirren wie bei gewissen Perkussionsinstrumenten.

Vogelstimmen in der Musik
Wer kennt nicht das einprägsame kurze Volkslied «Zyt isch do…?» Der Komponist Casimir Meister (1869–1941) hat es bewusst als Dokumentation des Kuckuckrufs komponiert. Im weiteren beliebten Volkslied «S’Guggerzytli» kommt im Refrain schön zur Geltung, dass der Kuckuck sowohl die kleine wie auch die grosse Terz oder gar eine Quart beherrscht. Und im Zustand höchster Erregung – wenn er etwa seiner Geliebten ansichtig wird – kann er sich zum dreifachen «kuckuckuck» steigern, weiss Marti. Der Kuckuck hat auch weitere Komponisten animiert: zum Beispiel Händel mit dem Orgelkonzert «Kuckuck und Nachtigall». In Volksliedern wie: «Es tönen die Lieder» oder «Alle Vögel sind schon da» kommen gleich mehrere Gesangskünstler mit typischen Motiven zur Geltung. Der Referent erwähnte auch prominente Komponisten wie Mozart, Beethoven und weitere, die in gewissen Werken Vogelgesangsmotive aufscheinen oder dies zumindest spekulieren lassen.

Meisterhaft imitiert
Der Referent verblüffte mit seinen völlig authentisch tönenden Imitationen der verschiedenen gefiederten Sänger mit seiner ganz speziellen Pfeiftechnik – «ganz einfach, man muss nur ein bisschen üben», meinte er bescheiden. Wenn er gekonnt pfeifend durch den Wald schreiten würde, gäbe es bei den Vogelmännchen, die singend ihr Revier verteidigen, ziemliche Irritationen. Das will er aber nicht, höchstens als Mittel, um bei Vogelzählungen gewisse scheue Arten zu Gesicht zu bekommen. Als Hobbymusiker mit Bratsche, Gitarre und verschiedenen Flöten und Pfeifen bestens vertraut, spielte er etliche Passagen aus Werken, denen bekannte Komponisten bewusst oder vermutungsweise Motive aus dem Vogelgesang unterlegten. Marti ist aber auch skeptisch: «Nicht alles, was danach tönt – ausser es sei vom Komponisten ausdrücklich so deklariert – muss dem Vogelgesang nachempfunden sein.»

Auf der Homepage der Vogelwarte Sempach: www.vogelwarte.ch können verschiedenste Vogelstimmen abgehört werden.