Wohin steuert Grossbritannien?
In der Veranstaltungsreihe der Kulturellen Vereinigung Bad Ragaz hielt Urs Gredig, bekannter Moderator des SRF Nachrichtenmagazins 10vor10 und seiner eigenen Talk-Show «Gredig direkt» ein spannendes Referat über Grossbritannien, wo er von 2013 – 2017 Korrespondent des Schweizer Fernsehen war.
von Hans Hidber, im Sarganserländer
Bad Ragaz. – Im Kursaal des Grand Resorts hatten sich am frühen Sonntagabend zahlreiche Interessierte zum Referat von Urs Gredig «Grossbritannien – wie sich das Land heute präsentiert» eingefunden. Der Referent brauchte von Renato Bergamin, Präsident der Kulturellen Vereinigung Bad Ragaz, nicht lange vorgestellt zu werden, ist er doch häufig am TV-Bildschirm präsent. Dass der Anlass wie geplant überhaupt stattfinden konnte, hing im Vorfeld bis kurz zuvor noch in der Schwebe; Gredig konnte nach einer Corona-Erkrankung die Isolation erst ein paar Tage zuvor verlassen und seine Moderatoren-Tätigkeit wieder aufnehmen. «Ich habe meine Krankheit perfekt so organisiert, dass ich den Vortragstermin in Bad Ragaz noch zeitgerecht wahrnehmen konnte», meinte der Referent schmunzelnd.
Schwergewichtige Themen beleuchtet
Die schillernde Figur von Premier Boris Johnson, die Nach- und Nebenfolgen von Brexit, die Corona-Situation und schliesslich die boulevardträchtigen Geschichten rund um die Royals waren die Themen, die auch immer wieder für Schlagzeilen in der Weltpresse sorgen. Als SRF-Auslandkorrespondent war Urs Gredig immer nahe am politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen, das er immer noch mit grösstem Interesse verfolgt. Zuerst befasste sich der Referent mit Premierminister Boris Johnson «mit dessen Begabung, dauernd in Fettnäpfchen zu treten» und entsprechende Kritiken bis zu Rücktrittsforderungen als Stehaufmännchen immer wieder wegzustecken – bis jetzt. Doch mit den unseligen Partygeschichten in Downing Street 10 wurde die rote Linie überschritten. Für die grösste Empörung sorgte eine Party aus Johnsons Mitarbeiterumfeld am Vorabend der Beerdigung von Prinz Philipp. Gredig hält es für denkbar, dass dies Johnson den Kragen kosten könnte. Aus seiner persönlichen Sicht hätten Schatzkanzler Rishi Sunak (1980) oder Aussenministerin Liz Truss (1975) die besten Chancen für Johnsons Nachfolge.
Brexit Euphorie gedämpft
Die Nachfolgeregelungen nach dem Austritt Grossbritanniens per 1. Januar 2021 aus der EU erweisen sich als viel zähflüssiger und schwieriger, als in der ersten Brexit-Euphorie gedacht. Ob und wann es eine langfristige und Lösung gibt, ist noch völlig unklar. Der Referent beleuchtete die grössten Problemfelder, die sich nach der «Scheidung» ergeben haben. So hat sich die Hoffnung, die Immigration nach dem Brexit selber steuern zu können, als trügerisch erwiesen. Illegal Eingewanderte können kaum zurückgeschoben werden und Frankreich verspürt keine Lust, sich für die Verhinderung der Weiterreise von Immigranten Richtung Grossbritannien gross zu engagieren. Politischen Zündstoff bilden die Grenzziehung zwischen Nordirland und dem EU- Irland sowie die Unabhängigkeitsgelüste Schottlands, das lieber in der EU-Gemeinschaft verbleiben möchte. Auch wirtschaftlich bekommen die Briten im Alltag einiges zu spüren: unter anderem Lieferengpässe in der Grundversorgung zufolge steckengebliebener Camions am Zoll, wo tonnenweise Lebensmittel wegen den langen Wartezeiten verderben.
Corona und Royals
Bei den Themen Corona (wo Johnson eine zwiespältige Rolle) spielte und den unsäglichen Geschichten der Royals konnte sich der Referent kurzhalten, da beides in den Medien fast täglich ausführlich ausgeschlachtet wird. Was aber die Monarchie als Institution betrifft, wollen sie gemäss repräsentativer Umfragen trotzdem gut Zweidrittel der Bevölkerung beibehalten. Nach dem Referat beantwortete Gredig noch einige Fragen aus dem Publikum. Zum Schluss wollte Renato Bergamin vom Referenten noch wissen, was er aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen an den Briten am meisten schätze. «Es ist der feine Humor, der auch in schwierigen Situationen zum Tragen kommt und die Lebenslust, aber auch die Toleranz. Wer in Grossbritannien lebt, lernt aufgrund der Vielfalt der Ethnien und Nationalitäten die Welt kennen», setzte der Referent den Schlusspunkt seines mit grossem Applaus bedachten Referats.