«Für Russland, Esel und andere»
Die neue Vortragssaison der Kulturellen Vereinigung Bad Ragaz startete am Sonntag im Kursaal mit einem Filmporträt über den berühmten Maler Marc Chagall im Beisein seiner Enkelin Meret Meyer, mit der Renato Bergamin anschliessend einen spannenden Dialog führte.
von Hans Hidber
Bad Ragaz. – Er gilt als einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts: Marc Chagall (1887 – 1985). Aufgewachsen in einer jüdisch-orthodoxen Familie im heutigen Weissrussland, schimmern in vielen seiner Werke religiöse Motive durch. Chagall war für die aufkommenden neuen, avantgardistischen Kunstrichtungen wie Expressionismus und Kubismus offen, ohne seinen ganz eigenständigen Stil zu verleugnen. In der Schweiz wurde er besonders durch die Glasmalereien in der Zürcher Fraumünsterkirche berühmt. Monumentale Glasfenster hat er unter anderem auch in der Kathedrale von Reims geschaffen.
Künstlerleben in Film verpackt
«Chagall, à la Russie, aux ânes et aux autres (für Russland, Esel und andere)» lautet das 50-minütige Filmporträt von François Lévy-Kuentz über den Künstler, das im ersten Teil der Veranstaltung im Kursaal vorgeführt wurde. Als Filmtitel dient eine handschriftliche Widmung Chagalls unter einer seiner vielen Kunstkarten. Die Wortwahl zeugt auch von seinem hintergründigen Humor, der in seinen Werken immer wieder aufscheint. In der geballten Fülle der aus verschiedenen Archiven und anderen Quellen zusammengetragenen Bild- und Filmdokumentationen ergibt sich ein abgerundetes Bild seines überaus vielfältigen künstlerischen Schaffens aus seinen verschiedenen Lebensabschnitten. Bewegende Bilder von der russischen Revolution, der aufkommenden Naziherrschaft in Deutschland (Chagalls Bilder wurden als «entartete Kunst» geächtet), vom Exil in New York und seiner Rückkehr 1948 nach Paris – immer mit Bildern aus seiner jeweiligen Schaffensperiode unterlegt.
«Erzählende Bilder»
Enkelin – da denkt man vordergründig an frühkindlich verklärte Erinnerungen. Meret Meyer war aber bereits 30 Jahre alt, als ihr berühmter Grossvater mit 98 im hohen Alter starb. Sie hat ihn deshalb in intensiver Erinnerung und konnte im anschliessenden Gespräch mit Renato Bergamin, Präsident der Kulturellen Vereinigung, aus dem Vollen schöpfen. Wie hat sie Chagall persönlich erlebt? «Er war ein bescheidener, liebenswürdiger und humorvoller Mensch, der sich selber auch selbstironisch auf die Schippe nehmen konnte». Hat er mit seinen Angehörigen auch über seine Bilder diskutiert? «Nicht gross, es sind ja ‚erzählende Bilder‘, deren Aussagen bei aller Abstraktion klar ersichtlich sind.» Chagall sei ein genauer Beobachter gewesen, der alles «wie ein Schwamm» aufgesogen und dann bildlich in seinem einzigartigen Stil festgehalten habe.
Das Comité Marc Chagall
Meret Meyer, die in der Schweiz lebt und in Paris arbeitet, ist Vizepräsidentin des Comité Marc Chagall, das dessen künstlerischen Nachlass betreut. Im letzten Teil des Gesprächs beantwortete sie auch Fragen über die Tätigkeit und Aufgaben dieses Komitees. Der Nachlass umfasst mehrere Archive mit Werkverzeichnis, Bildern, vielen Dokumenten und Notizen. Kommen auch Fälschungen vor? «Es gibt mehr Fälschungen als Originale», so Meret Meyer. Eine der Aufgaben des Comité sei es, auftauchende Bilder auf ihre Echtheit zu prüfen. «Und wenn jemand behauptet, mit Chagall persönlichen Kontakt gepflegt zu haben, können wir den Wahrheitsgehalt aufgrund der vom Künstler akribisch abgelegten Notizen über seine Erlebnisse und Begegnungen leicht überprüfen.» Mit viel Zeitaufwand seien die Vorbereitungen für grössere Ausstellungen verbunden. Die nächste wird am 12. Oktober im Musée de la Musique in Paris eröffnet unter dem Titel «Chagall: le triomphe de la Musique» als Symbiose von Malerei und Musik.
Meret Meyer im Gespräch mit Renato Bergamin; Foto Hans Hidber