Mit der Drogen-Métro zum Höllentor
Sarganserländer vom 14. Dezember 2015
Am letzten Vortragsabend dieses Jahres betrat die Kulturelle Vereinigung Bad Ragaz mit einer szenischen Lesung mit zwei renommierten Schauspieler über den Briefwechsel zwischen Andreas Walser und Ernst Ludwig Kirchner Neuland.
von Hans Hidber
Bad Ragaz.- Briefwechsel einfach selber zu lesen oder von professionellen Schauspielern szenisch im Dialog vorgetragen zu bekommen, sind zwei ganz verschiedene Welten, besonders, wenn es sich um eine dramatische Lebensgeschichte handelt. Dabei ging es eigentlich um ein Dreiergeflecht: Andreas Walser, Pfarrerssohn aus Chur (1908 – 1930), der als Zwanzigjähriger nach Paris zog, um Künstler zu werden; die junge Sopranistin Bärby Hunger, mit der ihn eine tiefe, allerdings platonische Freundschaft verband (Walser war homosexuell), und der bekannte, in Davos lebende Expressionist Ernst Ludwig Kirchner als väterlicher Freund und Mentor des jungen, vielversprechenden Künstlers. Graziella Rossi und Helmut Vogel, zwei über die Landesgrenze bekannte Schauspieler, gaben den drei Briefkontrahenten ihre Stimme.
«Hör auf mit dem verdammten Gift»
Andreas Walser, dessen Hochbegabung für die Kunst nebst Ernst Ludwig Kirchner auch Picasso auffiel, war auf dem besten Weg, in der Pariser Kunstszene einen herausragenden Platz einzunehmen. Der in den jungen Künstler verliebte Jean Cocteau, bekannter französischer Schriftsteller und Maler, vermittelte ihm die nötigen Kontakte; sodass ideale Voraussetzungen für eine steile Künstlerkarriere bestanden hätten. Hätten – wäre da nicht die kunst- und lebensvernichtende starke Drogensucht gewesen. Um dieses Thema drehte sich der sich inhaltlich immer dramatischer zuspitzende Briefwechsel. «Hör auf mit dem verdammten Gift», mahnte Kirchner, der als «Morphinist» selber einmal den Drogen verfallen war, den jungen Künstler eindringlich und empfahl ihm, auf stationären Entzug zu gehen – doch vergebens. Walser versuchte zwar, von den Drogen wegzukommen, schwindelte seinen Mentor zwischendurch auch an, er sei jetzt «sauber». Bärby wandte sich in mehreren Briefen hilfesuchend an Kirchner, nachdem sich Walser langsam genierte, diesem selber die Wahrheit zu schreiben.
Fahrt in Richtung Höllentor
Mit zunehmender Dramatik trugen Graziella Rossi und Helmut Vogel die Brieftexte vor; auf der Leinwand waren als optische Unterstützung die betreffenden Passagen der erhaltenen Originalbriefe und Karten sowie Kunstwerke Walsers zu sehen. Die beiden Vortragenden schlüpften so glaubhaft in die Rollen der drei Schreibenden, dass der Eindruck entstand, diese authentisch reden zu hören. Die wechselnde Stimmung Walsers zwischen Begeisterung und Depression, die Hilferufe Bärbys und die immer eindringlicheren Bemühungen Kirchners, den jungen Künstler vor dem totalen Absturz zu bewahren, kamen so ausdruckstark daher, wie dies bei einer «gewöhnlichen» Lesung nie möglich wäre. Doch alle Liebesmüh war schliesslich umsonst. «Ich bin mit der Métro in Richtung ‚Porte d’Enfer‘ (Höllentor) gefahren und habe mein Ziel nicht verfehlt. Ich bin jung zu den alten Toten gekommen, die nicht den Mut hatten, früher zu gehen», verabschiedete sich der erst 22-Jährige mit seinen letzten Zeilen von dieser Welt.
Hervorragend inszeniert
Die beiden Schauspieler haben auf eindrückliche Weise den toten Buchstaben Leben eingehaucht und die verschiedenen Stimmungslagen von Ruhmsucht und Todeswunsch, Begeisterung und Verzweiflung dramaturgisch umgesetzt. Andreas Walsers Werk, entstanden in nur knapp zwei Jahren, wurde erst 1981 auf einem Pariser Estrich entdeckt, nachdem es mehr als 50 Jahre verschlossen blieb.
Foto: Hans Hidber