Erinnerungen an «Nonno» Hermann Hesse
An einem weiteren Vortragsabend der Kulturellen Vereinigung Bad Ragaz erzählte Silver Hesse, Enkel seines berühmten Grossvaters Hermann Hesse, im Gespräch mit Dr. Martin Keller von seinen Erinnerungen an den «Nonno» und auch über dessen Lebenswerk.
von Hans Hidber
Bad Ragaz. – Das Porträt des Schriftstellers, Dichters und Malers Hermann Hesse (1877 – 1962) auf der grossen Leinwand im Kursaal zog den Blick der Eintretenden unwillkürlich auf sich. Hesse, wie man ihn auch aus anderen Darstellungen kennt: Hager, mit randloser Brille, asketisch und nachdenklich wirkend. An diesem Abend ging es nicht darum, näher auf seine bekannten Werke wie etwa «Der Steppenwolf», «Das Glasperlenspiel» oder «Siddhartha» einzugehen, sondern wie der berühmte Literat und Nobelpreisträger von seinem Umfeld als Mensch wahrgenommen wurde. Sein Enkel, Silver Hesse (75), Architekt ETH und Raumplaner und seit 2003 voll mit der Betreuung des umfangreichen literarischen Nachlasses befasst, erzählte im Gespräch mit Dr. Martin Keller von seinen Erinnerungen an seinen in Montagnola (in der Nähe von Lugano) lebenden «Nonno».
«Ein ganz gewöhnlicher Grossvater»
In seiner Kindheit war ihm, so Silver Hermann, nicht bewusst, einen so berühmten Grossvater zu haben. Er war für ihn «ein ganz gewöhnlicher Grossvater», den er als herzlich und liebenswert erlebte. Da dessen Wohnsitz in Montagnola im Tessin damals fast eine Tagesreise weit entfernt war, fielen die Besuche eher spärlich aus. Dafür korrespondierte er schon früh mit seinem Nonno. Dieser schrieb auch seine persönlichen Briefe immer mit der Schreibmaschine mit dem meist ausgelaugten Farbband. Silver wollte es ihm gleichtun und hat schon als Neunjähriger seine Botschaften an Hermann Hesse auf der «Hermes-Baby» seines Vaters Heiner getippt. Anlässlich einer Projektwoche des Lehrerseminars in der Nähe von Montagnola habe er von seinem Deutschlehrer die Erlaubnis erhalten, seinen Grossvater eines Tages zu besuchen. «Endlich durfte ich ihn einmal ganz für mich haben und einen Tag mit ihm verbringen.» Dem Ansinnen des Deutschlehrers, Privates preiszugeben, habe er widerstanden und musste dafür bis Ende Seminar mit schlechteren Deutschnoten büssen.
Ein Schlüsselerlebnis
Sein damals 82-jährige und noch recht rüstige Nonno habe mit ihm eine Wanderung in der nächsten Umgebung unternommen und ihm alle Pflanzen und Bäume in der reichen südlichen Vegetation erklärt. «Mein Schlüsselerlebnis aber war, dass er sich lebhaft dafür interessierte, wie ich als Junger die Welt und den Sinn des Lebens sehe und empfinde, was mir wichtig sei und welche Pläne ich habe», erinnert sich Silver an diese erste exklusive Begegnung. «Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich ernstgenommen.» Sein Nonno habe auch sonst immer einen guten Draht zur jungen Generation gehabt. Eine Erinnerung der traurigen Art war das Begräbnis des am 9. August 1962 verstorbenen Grossvaters. Silver war aus der RS und in Uniform angereist und hat den Sarg von der Wohnung zur Grabstelle mitgetragen.
Literat und Maler mit vielen Facetten
Sein Gesprächspartner Martin Keller entlockte Silver Hesse im Verlaufe des Abends auch manche Aussagen über das familiäre Umfeld des berühmten Schriftstellers, Dichters und Malers; seine Höhen und Tiefen, die nicht immer einfachen Beziehungen zu seinen Ehefrauen, auch über seine Freundschaft mit Thomas Mann sowie über die politische Ausrichtung im eher linken Spektrum, das ihm viele Anfeindungen und auch Verleumdungen eintrug. Beim Malen fand er seine Entspannung: «Das Malen ist wundervoll, das befreit von der verfluchten Willenswelt», sagte er einmal. Und seine etwas pessimistische Einschätzung des menschlichen Verhaltens zeigt sich im Zitat: «Die meisten Menschen sind wie ein fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und taumelt zu Boden. Andre aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste Bahn, kein Wind erreicht sie, in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre Bahn.» Und gefragt, welchen Einstieg in die Gedankenwelt Hermann Hesses er seinen eigenen Enkeln empfehlen würde, meinte Silver Hesse: «Die gesammelten Briefe vermitteln den unmittelbarsten Eindruck in die Gefühlswelt und Philosophie von Hermann Hesse.»